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Beweiserleichterung durch Regelung des § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG

Hersteller muss zu seiner Entlastung einen Geschehensablauf beweisen, der den Zeitpunkt eines Fehlers plausibel erscheinen lässt

OLG München, Urteil vom 21.06.2002, 21 U 4952/01

Oberlandesgericht München
Urteil vom 21.06.2002
21 U 4952/01

Im Namen des Volkes
Urteil

In dem Rechtsstreit

Frau …

Kläger

./.

Firma …

Beklagte

erlässt der 21. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. … und die Richter am Oberlandesgericht Dr. … und …. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24.04.2002 folgendes

Endurteil

Tenor

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts München I, 25. Zivilkammer, vom 08.08.2001 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 9.700 Euro abwenden, wenn nicht die Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
  4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten aus nach § 67 VVG übergegangenem Recht Schadensersatz nach dem Produkthaftungsgesetz.

Der Versicherungsnehmer der Klägerin, Herr W. V., erwarb am 25.09.1992 einen von der Beklagten hergestellten Wäschetrockner Typ WLT 4510 bei der Firma … in D..

Am 13.10.1999 entstand in einem Kellerraum seines Anwesens, in dem der Wäschetrockner aufgestellt war, ein Brand. Dies führte zu einem erheblichen Schaden am Gebäude.

Die Klägerin als Gebäudeversicherung beauftragte das Sachverständigenbüro N., die Brandursache zu ermitteln. Der Sachverständige führte in seinem Gutachten vom 09.11.1999 zusammenfassend aus, das Feuer sei innerhalb der Steuerung des Wäschetrockners oder im Anschlussbereich entstanden. Der Grund dafür sei entweder ein Isolationsschaden an einem elektrischen Anschlusskabel mit Kriechstrombildung oder eine Strombahneinengung beim Lösen einer Kabelverbindung („Wackelkontakt“). Die Klägerin behauptet, es sei ein Schaden von mindestens DM 191.799,10 entstanden, den sie reguliert habe.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, der Brand sei durch einen Produktfehler des Wäschetrockners verursacht worden. Andere Brandursachen kämen nicht in Betracht.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 191.799,10 nebst 6 % Zinsen seit dem 29.06.2000 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, ein Produktionsfehler liege nicht vor. Durch das Gutachten des Sachverständigen N. sei nicht bewiesen, dass ein Isolationsfehler oder ein Wackelkontakt den Brand verursacht habe und der Wäschetrockner schon bei seiner Lieferung mit Fehlern behaftet gewesen sei. Die Höhe des geltend gemachten Schadens hat die Beklagte ebenfalls bestritten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es könne als wahr unterstellt werden, dass ein Fehler des Trockners den Brand ausgelöst und den Schaden verursacht habe. Nach den Umständen, insbesondere der langen Zeitspanne bis zum Schadenseintritt sei davon auszugehen, das der Trockner den Fehler noch nicht aufgewiesen habe, als er von der Beklagten in Verkehr gebracht wurde und erst aufgrund der Alterung sowie der Benutzung im Laufe der Zeit ein Fehler entstanden sei.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie ist der Ansicht, die Beklagte habe den Entlastungsbeweis entgegen der Ansicht des Erstgerichts nicht erbracht. Sollte der Alterungsprozess von Teilen des Trockners die Brandursache gewesen sein, hätte die Beklagte im Rahmen ihrer Instruktionspflicht vor solchen Gefahren warnen müssen.

Die Klägerin beantragt

unter Aufhebung des am 08.08.2001 verkündeten Urteils des Landgerichts München I, Aktenzeichen 25 O 6673/01, wird die Beklagte verurteilt, 191.799,10 DM nebst 6% Zinsen seit dem 29.06.2000 an die Klägerin zu zahlen.

Die Beklagte beantragt

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Meinung, das Landgericht sei zu Recht davon ausgegangen, daß der Entlastungsbeweis geführt wurde. Sie sei ihrer Pflicht zur Statussicherung und zur Produktbeobachtung nachgekommen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen …..

Bezug genommen wird auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere auf das angefochtene Urteil, das Protokoll vom 24.04.2002 über die Vernehmung des Zeuge …. (Bl. 98/103 d.A.), sowie auf die Schriftsätze der Parteivertreter und die vorgelegten Urkunden.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin (§§ 511 ff. ZPO) erweist sich im Ergebnis als unbegründet. Nach den Umständen ist davon auszugehen, daß der streitgegenständliche Wäschetrockner keinen Fehler aufwies, als er von der Beklagten in den Verkehr gebracht wurde.

I.
Es kann dahingestellt bleiben, ob tatsächlich ein Defekt am Steuerungsteil des Wäschetrockners die Brandursache war. Eine Beweiserhebung über die behauptete Fehlerursache wäre möglich, ohne dass dabei die Grenzen zum Ausforschungsbeweis überschritten würden. Die Klägerin hat – unter Bezugnahme auf das Privatgutachten des Sachverständigen N… – einen konkreten Geräteteil als fehlerhaft genannt und alternativ zwei bestimmte Mängel, nämlich einen Isolationsschaden oder einen Wackelkontakt angegeben. Eine weitere Präzisierung des behaupteten Fehlers war nicht erforderlich.

II.
Selbst wenn der Brand durch einen Defekt am Steuergerät verursacht worden sein sollte, hat die Beklagte den Nachweis gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG erbracht, saß nach den gegebenen Umständen der Fehler erst nach dem Inverkehrbringen des Geräts durch die Beklagte entstanden ist.

Die Regelung des § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG stellt in Anlehnung an die EG – Richtlinie Produkthaftung vom 25.07.1985 eine Beweiserleichterung dar. Der Hersteller muß zu seiner Entlastung einen Geschehnisablauf beweisen, der nach allgemeiner Lebenserfahrung die Schlussfolgerung auf den Zeitpunkt des Fehlereintritts plausibel erscheinen läßt. Ein hohes Maß der Wahrscheinlichkeit für einen Fehlereintritt nach dem Inverkehrbringen reicht dabei aus (Staudinger/Oechsler, BGB, 13. Auflage, § 1 ProdHaftG, RnNr. 75).

a) Für die Beurteilung, ob eine solche Wahrscheinlichkeit vorliegt, ist zunächst der Zeitfaktor zwischen Inverkehrbringen und Schadenseintritt von wesentlicher Bedeutung (vgl. Staudinger/Oechsler a.a.O., RnNr. 77; von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, 2. Auflage, § 81 RnNr. 9; Palandt/Thomas, BGB, 61. Auflage, § 1 ProdHaftG, RnNr. 17). Je größer diese Zeitspanne ist, desto geringer ist bei üblichem Gebrauch die Wahrscheinlichkeit, dass der Fehler dem Produkt auch zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens angehaftet hat.

Der streitgegenständliche Wäschetrockner wurde von der Beklagten vor dem 25.09.1992 ausgeliefert und war bis zum 13.10.1999 – nach dem Vortrag der Klägerin – in üblicher Weise und in normalem Umfang in Gebrauch.

Das Erstgericht hat dieser 7-jährigen Zeitspanne zu Recht die entscheidende Bedeutung beigemessen. Gerade die Art der von der Klägerin alternativ behaupteten Fehler (mangelhafte Isolierung oder Wackelkontakt) lassen es unwahrscheinlich erscheinen, daß diese 7 Jahre lang trotz ständigen Gebrauchs nicht zutage getreten sind.

b) Für die Wahrscheinlichkeit, dass der behauptete Fehler erst nachträglich entstanden ist, spricht auch die Aussage des Zeugen …., der bei der Beklagten als Referent im zentralen Qualitätsmanagement beschäftigt ist. Der Zeuge erläuterte die bei der Beklagten seit Anfang der 90 er Jahre standardmäßig durchgeführten Kontrollen bis zur Auslieferung eines Geräts. Sachlich widerspruchsfrei und nachvollziehbar schilderte der Zeuge auch die Maßnahmen, die verhindern sollen, daß ausgelieferte Geräte mit Isolationsmängeln oder Wackelkontakten behaftet sind. Seine Aussage ist in vollem Umfang glaubwürdig.

Nach den Angaben des Zeugen führte zunächst der zuständige Monteur selbst eine Zwischenprüfung durch, bevor das komplett fertig montierte, unverschlossene Gerät einer Endprüfung durch einen anderen Mitarbeiter unterzogen wurde. Dieser überprüfte sämtliche Funktionen, untersuchte den Trockner optisch auf Mängel und überprüfte den Sitz des Kabelbaums beim Steuergerät durch eine Zugkontrolle.
Daneben wurden bei diesem Gerätetyp im Rahmen der Entwicklung Abrollversuche gemacht, um sicherzustellen, dass eine Berührung von stromführenden und beweglichen Teilen nicht stattfinden kann. Der in jedes Gerät eingebaute Temperaturregler schaltete bei Überhitzung der Trocknertrommel die Temperatur selbstständig herunter und als weitere Sicherungsmaßname wurden alle Geräte dieses Typs mit einem „Klixon“ ausgestattet, der den Trockner bei Überhitzung vom Netz trennt.

Damit hat die Beklagte dargelegt und unter Beweis gestellt, daß bei der Gerätserie, zu der auch der streitgegenständliche Trockner gehörte, Maßnahmen zur Verhinderung von Fabrikationsfehlern getroffen wurden. Bei normalen Verlauf konnten von der Beklagten keine fehlerhaften Geräte in den Verkehr gebracht werden.

Bei aller Sorgfalt der Produktion und der Kontrolle kann aber die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass trotzdem ein fehlerhaftes Gerät zur Auslieferung kommt. Im Rahmen der Produkthaftung hat der Hersteller auch für solche „Ausreißer“ einzustehen und die sorgfältigen Gestaltung des Produktionsverfahrens und der Ausgangskontrolle begründet keinen Anscheinsbeweis für die Fehlerfreiheit zum Zeitpunkt des in verkehr bringens (Staudinger/Oechsler a.a.O. RnNr. 78).

c) Bei der Beweiswürdigung im Rahmen des § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG können aber die Gestaltung des Produktionsverfahrens und die Art und der Umfang der Kontrollmaßnahmen zur Fehlervermeidung mitberücksichtigt werden.

Unter Zugrundelegung der Aussage des Zeugen … ist davon auszugehen, dass der streitgegenständliche Trockner ein „Ausreißer“ gewesen wäre, wenn er tatsächlich einen Fehler aufgewiesen hätte. Die Wahrscheinlichkeit, dass aufgrund der Organisationsmaßnahmen der Beklagten überhaupt ein fehlerhaftes Gerät zur Auslieferung kommt, ist sehr gering. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser „Ausreißer“ dann auch noch 7 Jahre beanstandungsfrei benutzt werden kann, ist so gering, daß nach allgemeiner Lebenserfahrung der Fehler erst entstanden ist, als das Gerät bereits von der Beklagten ausgeliefert war.

d) Alterung als Ursache:
In diesem Fall läge ein Konstruktionsfehler oder zumindest ein Instruktionsfehler vor, da ein Gerät so beschaffen sein muss, das auch ein altersbedingter Verschleiß keinen Brand verursachen kann oder zumindes auf diese Gefahr hingewiesen und ihr durch Wartungsanweisungen begegnet werden müsste.

Anhaltspunkte dafür, dass – wie vom Erstgericht angenommen – altersbedingte Verschleißerscheinungen zum Brand geführt haben könnten, liegen jedoch nicht vor und werden von der Klägerin auch nicht behauptet.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, die weder der Rechtsfortbildung noch der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dienen kann.

Dahlbokum
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