Startseite » Kein Staatshaftungsanspruch bei Fehler des Finanzamtes

Kein Staatshaftungsanspruch bei Fehler des Finanzamtes

Falsche Ermessensentscheidung im Rahmen von Vollstreckungsmaßnahmen

LG Wuppertal, Urteil vom 21.11.2001, 18 O 37/01

Nordrhein Westfalen Wappen

Landgericht Wuppertal
Urteil vom 21.11.2001
18 O 37/01

Im Namen des Volkes
Uretil

In dem Rechtsstreit

Firma … GmbH

Klägerin

./.

Land Nordrhein-Westfalen

Beklagter

hat die 18. Zivilkammer des Landgerichts Wupprtal auf die mündliche Verhandlung vom 21. November 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. …, die Richterin am Landgericht … und den Richter am Landgericht …

für Recht erkannt

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 700,00 DM abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Sicherheit kann auch durch eine selsbtschuldnerische Bürgschaft einer Bank oder Sparkasse mi Sitz in der Bundesrepublik Deutschland erbracht werden.

Tatbestand

Die Klägerin macht vorliegend einen Amtshaftungsanspruch wegen im außergerichtlichen Verfahren vor der Finanzbehörde entstandenen Rechtsanwaltskosten geltend. Wegen Abgaberückstände der Klägerin in Höhe von 64.283,11 DM erließ das Finanzamt Wuppertal-Elberfeld als Behörde des beklagten Landes unter dem 22.03.2001 Pfändungs- und Einziehungsverfügungen, die die Geschäftskonten der Klägerin bei der Volksbank, der Sparkasse und der Deutschen Bank betrafen. Gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung bzgl. der Volksband und der Sparkasse legte die Klägerin, vertreten durch ihren Rechtsanwalt, am 28.03.2001 jeweils Einspruch mit der Begründung ein, dass der sofortige Erlass von Pfändungs- und Einziehungsverfügung ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig sei, da der Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffes nicht beachtet worden sei. Insbesondere sei nicht geprüft worden, ob eine Mobiliarzwangsvollstreckung in Betracht hätte kommen können. Wegen der Einzelheiten wird insofern auf das Einspruchsschreiben der Klägerin 28.03.2001 (Bl. 10 ff. d. A.) Bezug genommen. Mit Schreiben vom gleichen Tag stellte die Klägerin durch ihren Rechtsanwalt beim Finanzgericht Düsseldorf einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, dem das Finanzgericht mit Beschluss vom 24.04.2001 – 12 V 1924/01 A (KV) – stattgab. In den Gründen führte das Finanzgericht Düsseldorf aus:

„A. Der Antrag ist nach § 69 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. Satz 2 Nr. 2 FGO zulässig.

B. Der Antrag ist auch begründet.

Bei summarischer Prüfung bestehen ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 FGO daran, dass der Antragsgegner die angefochtenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung in ermessensfehlerfreier Weise erlassen hat.

Die allgemeinen Voraussetzungen, die die Behörde bei der Ausbrigung von Vollstreckungsmaßnahmen zu beachten hat, sind von der Beteiligten zutreffend und im Grundsatz übereinstimmend vorgetragen worden, weshalb sie keiner nochmaligen Erwähnung bedürfen. Es ist danach anerkannt, dass das „Ob“ der Vollstreckung nicht in das Ermessen der Finanzbehörde gestellt ist, dass ihr aber hinsichtlich der Auswahl der in Betracht kommenden Vollstreckunsmöglichkeiten ein Ermessensspielraum zusteht (vgl. ausführlich FG Cottbus, EFG 1998, 1451).

Im Streitfall erscheint es denkbar, dass eine den Umständen nach gebotene Ermessenbetätigung unterblieben ist. Anhand der vorgelegten Akte kann nämlich nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass das FA nahe liegende, weniger belastende Vollstreckungsmöglichkeiten nicht wahrgenommen und eine Ermessensausübung möglicherweise unterlassen hat. Denn nach dem Vorbringen der Antragstellerin könnten weitere Vollstreckungsmöglichkeiten durchaus bestanden haben.

Sie hat – insoweit unwidersprochen – vorgetragen, dass dem FA hohe Außenstände plausibel gemacht worden seien (Seite 2 unten der Antragsbegründung). Diese Formulierung weist darauf hin, dass es sich um ein nach Höhe und Einbringlichkeit der Forderung sowie Person des Schuldners substaniiertes Vorbingen gehandelt haben dürfte, aus sich dem Möglichkeiten für anderweitige Forderungspfändungen hätten ergeben können. Diese Schlussfolgerung ist zwar nicht zwigend; da der mit der Antragserwiderung vorgelegte Hefter jedoch erst mit den Aktenausfertigungen der Pfädungsverfügungen beginnt und keine zeitlich davor liegenden Vorgänge enthält, besteht für den Senat angesichts der Eilbedürftigkeit der Sache jedoch keine Möglichkeit zu einer näheren Prüfung. Im Interesse effektiver Rechtsschutzgewährung geht der Senat daher vorläufig davon aus, dass über die Möglichkeit einer Sachpfändung hinaus noch weitere, Erfolg versprechende und weniger belastende Vollstreckungsmöglichkeiten bestanden.

Zwar ist auch eine Forderungspfändung bei Kunden geeignet, die geschäftliche Betätigung eines Vollstreckungsschuldners nachhaltig zu beeinträchtigen. Diese Beeinträchtigung dürfte im Regelfall indessen weniger schwer wiegend als diejenige sei, die mit der Pfändung von Geschäftskonten einhergeht. Denn letztere führt zwingend dazu, dass kein weiterer Dispositionskredit mehr gewährt wird (siehe Schreiben der Volksbank … vom 26.03.2001). Auch bei Negativsalden auf den Konten wird hierdurch der weitere Geschäftsbetrieb ganz erheblich beeinträchtigt, weshalb dem Umstand, dass die Konten keine erwähnenswerten Guthaben aufwiesen, keine maßgebliche Bedeutung beizumessen ist.

Weil im Streifall demnach Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich aufdrängende Vollstreckungsmöglichkeiten in ermessensfehlerhafter Weise unbeachtet geblieben sind, braucht der Senat nicht auf die Frage einzugehen, ob nach dem Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs vor einer Kontenpfändung in der Regel zunächst der Versuch einer Sachpfändung zu unternehmen ist. Der schlichte Hinweis auf die Möglichkeit einer Sachpfändung dürfte aber jedenfalls dann nicht ausreichen, wenn die für eine Pfändung in Betracht kommenden Gegenstände für die unternehmerische Betätigung erforderlich sind und ihr Fehlen daher ebenfalls die Fortführung der Erwerbstätigekit beeinträchtigen würde. Ergänzend weist der Senat ferner darauf hin, dass im Interesse einer gleichmäßigen Steuererhebung der Effizienz von Vollstreckungsmaßnahmen erhebliche Bedeutung beizumessen ist und dass Vollstreckungsmaßnahmen, die die geschäftliche Betätigung eines Unternehmens einschneidend beschränken oder unterbinden, mit dem Ziel, die Entstehung weiterer Rückstände zu verhindern, sachgerecht sein können.

Hierauf kommt es im Streitfall nach dem eingang Gesagten indessen nicht an. Die Aussetzung der Vollziehung der Pfändungsverfügungs bewirkt, dass das FA bis zu dem festgesetzten Fristablauf von der Pfändung den Kontos mit der Folge keinen Gebrauch mehr machen darf, dass sich die Verfügung nicht mehr auf das genannte Konto erstreckt (FG Bremen, EFG 1998, 1024). Bereits eingezogene Beiträge werden nicht wieder ausgekehrt (FG Kassel, EFG 1997, 898).

Von der Anordnung einer Sicherheitsleistung sieht der Senat ab. Die auch bei einer finanzgerichtlichen Aussetzung der Vollziehung mögliche, in das Ermessen des Gerichts gestellte Verknüpfung mit einer Sicherheitsleistung dient der Vermeidung von Steuerausfällen bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang. Im Streitfall sind jedoch bereits Steuerausfälle eingetreten, deren Ausgleich durch die angefochtenen Kontenpfändungen erreicht werden sollte. Dieser Ausgleich ist angesichts der nahezu fruchtlosen Pfändungen in nur sehr geringem Umfang erreicht worden; Anhaltspunkte dafür, dass ein weiter bestehender Vollzug der Pfändungen zu weiteren Zahlungseingängen führt, bestehen nicht. Vor diesem Hintergrund ist auch für die Anordnung einer Sicherheitsleistung kein Raum.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.“

Am 30.04.2001 hob das Finanzgericht Wuppertal-Elberfeld alle betreffenden Pfändungsverfügungen auf. Nachdem der Rechtsanwalt der Klägerin der Beklagten insgesamt 3.059,62 DM Kosten in Rechnung gestellt hatte, lehnte diese mit Schreiben vom 25.07.2001 eine Zahlung ab.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass das Finanzamt Wuppertal-Elberfeld sein Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt habe, indem es die Möglichkeit einer Sachpfändung nicht erwogen habe. Hierzu hätten verschiedene Produktionsmaschinen, der Fuhrpark der Klägerin sowie die Vorratsmaterialien zur Verfügung gestanden. Zumindestens aber hätte die Möglichkeit einer gemischten Mobiliar- und Kontenpfändung bestanden.

Die Klägerin beantragt

das beklagte Land zu verurteilen, an sie 3.059,62 DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank hieraus seit Klagezustellung zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es ist der Auffassung, dass das Finanzamt Wuppertal-Elberfeld keine Amtspflichten verletzt habe. Die vorgenommenen Kontopfändungen seien nicht ermessensfehlerhaft gewesen, zumal eine Vollstreckung in das bewegliche Vermögen der Klägerin dazu geführt hätte, dass die Produktion hätte eingestellt werden müssen. Es entspreche auch der gängigen Praxis der Finanzämter in entsprechenden Fällen wie vorliegend zu verfahren. Dieser Auffassung stehe die Entscheidung des Finanzgerichts Düsseldorf nicht entgegen, da es sich hierbei lediglich um ein summarisches Verfahren gehandelt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die seitens der Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 21.11.2001 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Klägerin steht kein Anspruch auf Zahlung von 3.059,62 DM zu, da die Voraussetzungen von § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG, der hier allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, nicht erfüllt sind. Dabei kann dahinstehen, ob seitens des Finanzamtes Wuppertal-Elberfeld bei Erlass der angefochtenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung „eine den Umständen nach gebotene Ermessensbetätigung unterblieben ist“ wie es das Finanzgericht Düsseldorf in seinem Beschluss vom 24.04.2001 im Rahmen der unter Eilbedürftigkeitsgesichtspunkten lediglich summarischen Prüfung für „denkbar“ gehalten hat; jedenfalls fehlt es vorliegend bereits an dem ursächlichen Zusammenhang zwischen dem – unterstellten – Ermessensfehler und dem vorliegend geltend gemachten Schaden. Zwar ist anerkannt, dass die Beauftragung eines Rechtskundigen mit der rechtlichen Abwehr einer zugunsten des Steuerpflichtigen erlassenen Maßnahme – insbesondere einer Vollstreckungsmaßnahme der Finanzverwaltung – im Rahmen eines typischen und zur Begründung einer Ersatzpflicht nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG ausreichenden Ursachenverlaufes liegen kann und dass diese Ersatzpflicht nicht aufgrund der verfahrensrechtlichen Kosten- und Kostenersattungsvorschriften in der FGO ausgeschlossen ist (vgl. OLG Frankfurt, BB 1981, 228 ff.), jedoch kommt auch bei – unterstellt – unterbliebener Ermessensausübungen ein Schadensersatzanspruch vorliegend nicht in Betracht, weil nicht feststeht, dass bei richtiger Handhabung des Ermessens der Schaden nicht eingetreten wäre (vgl. Palandt § 839 Rz. 38; BGH in VersR 1985, 887 ff.; ebenda, 588 ff. jeweils m. w. N.). Hierbei ist darauf abzustellen, wie die Behörde bei fehlerfreiem Vorgehen nach ihrer üblichen Praxis entschieden hätte (vgl. Palandt Vorbemerkungen vor § 249 Rz. 85 m. w. N.). Die Behörde der Beklagten hätte vorliegend ohne ermessensfehlerhaft zu handeln die angefochtenen Pfändungs- und Einziehungsverfügungen betreffend der Geschäftskonten der Klägerin erlassen können. Insbesondere hätte sie hierdurch nicht gegen den Grundsatz des geringst möglichen Eingriffes verstoßen. Ein Grundsatz, wonach die Sachpfändung gegenüber der Pfändung eines Geschäftskontos stets das mildere Mittel darstellt, existiert nicht; ein derartiges generelles Stufenverhältnis lässt sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht herleiten (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 18.02.2000 – II 376/99, EFG 2000, S. 536).

Vorliegend ist bei der insofern gebotenen Einzelfallprüfung kein milderes Mittel als die Pfändung der entsprechenden Geschäfts-Konten ersichtlich. Anderweitige Forderungspfändungen bei Kunden der Klägerin als (möglicherweis) weniger schwer wiegende Beeinträchtigung – wie sie das Finanzgericht Düsseldorf in seinem Beschluss vom 25.04.2001 für „möglich“ hält – sind im vorliegenden Verfahren weder ersichtlich, noch wird der Bestand derartige Forderungen von der Klägerin geltend gemacht. Auf Aufforderung der Kammer an die Klägerin vorzutragen, welche anderen, weniger belastende und Erfolg versprechende Vollstreckungsmöglichkeiten bestanden, hat diese lediglich eine Sachpfändung oder eine gemischte Sach- und Geschäftskontenpfändungen erwähnt. Die Sachpfändung in das von der Klägerin im Einzelnen dargelegte Mobiliar, den Fuhrpark und die Vorratsmaterialien stellt jedoch vorliegend im Verhältnis zur Pfändung der Geschäftskonten kein milderes Mittel im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Die von der Klägerin genannten, für eine Pfändung in Betracht kommenden Gegenstände sind nämlich für die unternehmerische Betätigung ebenso erforderlich wie ein – ungepfändetes – Geschäftskonto und ihr Fehlen beeinträchtigt in gleicher Weise die Fortführung der Erwerbstätigkeit. Im Hinblick auf die Höhe der ausstehenden Steuerschuld von über 60.000,00 DM und darauf, dass im Interesse einer gleichmäßigen Steuererhebung der Effizienz von Vollstreckungsmaßnahmen erhebliche Bedeutung beizumessen ist, wäre es vorliegend nicht ermessensfehlerhaft gewesen, von der Möglichkeit einer Kontopfändung Gebrauch zu machen und nicht die im Regelfall teurere und umständlichere Sachpfändung zu wählen. Gleiches gilt für eine gemischte Vollstreckung aus Kontenpfändung und Mobiliarvollstreckung.

Da ausweislich der innerdiestlichen Anweisungen der Oberfinanzdirektion Düsseldorf die gewählte Vorgehensweise die Regel und damit die gängige Praxis darstellt, steht vorliegend fest, dass die Behörde der Beklagten bei fehlerfreier Ermessensausübung in gleicher Weise vorgegangen wäre. Aus der nachträglichen Entscheidung am 30.04.2001, die Kontopfändungen aufzuheben lässt sich nicht schließen, dass bei fehlerfreier Ermessensausübung ein Schaden der Klägerin vermieden worden wäre. Hierfür können vielfältige, nachträglich entstandene Gründe, auch praktischer Art ursächlich gewesen sein. Da sich aus dem seitens der Klägerin selbst vorgelegten Einspruchsschreiben ergibt, dass sie sich hiermit generell gegen den „sofortigen“ Erlass von Pfändungs- und Einziehungsverfügungen wendet und diese Praxis generell für rechtswidrig erachtet, hätten sie auch in dem Fall, dass die Behörde ihr Ermessen in der oben dargelegten Art und Weise ausgeübt hätte, Einspruch eingelegt. Ihr ging es generell um die Vermeidung der Kontenpfändung und nicht lediglich um die Feststellung eines – möglichen – Ermessensnichtgebrauches.

Vor diesem Hintergrund lässt sich die erforderliche Kausalität zwischen – unterstellter – Amtspflichtverletzung und den geltend gemachten Schaden – den Rechtsanwaltskosten – nicht feststellen.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: 3.059,62 DM

Dahlbokum
Nach oben scrollen