Flaschenhersteller und Flaschenbefüller haften für Schadensersatz bei Explosion eines Glasflasche infolge einer Oberflächenbeschädigung
OLG München, Urteil vom 11.01.2011, 5 U 3158/10
Oberlandesgericht München
Urteil vom 11. Januar 2011
5 U 3158/10
Im Namen des Volkes
Urteil
Firma… GmbH
Klägerin
./.
Firma..
Beklagte
Tenor
- Die Berufungen der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 14. April 2010 werden zurückgewiesen.
- Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
- Die Beklagten können die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin von der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
- Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 65.888,75 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klägerin fordert von den Beklagten als Gesamtschuldner Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines Unfalls am 30. Juli 2004, bei dem die Klägerin nach ihrer Darstellung durch herumfliegende Glassplitter einer explodierten Piccolo-Flasche erheblich verletzt worden ist.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen …, …, …, …, …, …. und …. folgenden Sachverhalt festgestellt: Die Klägerin, damals Fachlehrerin für Sport und Textilarbeit an der … Schule in …, nahm am 30. Juli 2004 – dem letzten Schultag vor den Sommerferien – gegen 11.30 Uhr an einer Dienstbesprechung mit Ehrung im Schulhof der …Schule teil, in deren Rahmen der Rektor der Schule, der Zeuge L…, damit begonnen hatte, den 21 Lehrern des Lehrerkollegiums jeweils eine Flasche Piccolo 0,2 l der Marke … zu überreichen. Beim Übergeben einer Flasche an die Lehrerin …. explodierte die Flasche in der Hand des Rektors. Von umherfliegenden Glassplittern wurde die Klägerin am rechten Auge getroffen und verletzt. Die Beklagte zu 1) hatte den Flascheninhalt hergestellt und in die Flasche abgefüllt. Bei der Beklagten zu 2) handelt es sich um die Herstellerin der Glasflasche. Die Klägerin hält beide Beklagten wegen der verletzungsbedingten materiellen und immateriellen Schäden für ersatzpflichtig. Sie fordert von den Beklagten als Gesamtschuldner zum einen Zahlung von 768,75 € (Haushaltsführungsschaden) und 928,00 € (außergerichtliche Anwaltskosten) sowie Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 50.000,00 € und zum anderen die Feststellung der Ersatzpflicht für sämtlichen materiellen Zukunftsschaden, soweit dieser nicht auf Dritte übergegangen ist.
Die Beklagten bestreiten schon einen Fehler der Glasflasche. Sie meinen außerdem, jedenfalls sei davon auszugehen, dass die Glasflasche erst nach dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens durch die jeweilige Beklagte infolge mechanischer Beanspruchung fehlerhaft geworden sei, und zwar entweder anlässlich des Aufschneidens des Verpackungskartons beim Einzelhändler oder beim Einlegen der entpackten Einzelflaschen in eine Plastikwanne durch den Zeugen L… mit anschließendem Transport der Flaschen vom Büro des Rektors in den Pausenhof der Schule. Außerdem bestreiten sie das Ausmaß der Klägerseits behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und die Höhe des materiellen Schadens.
Das Landgericht hat nach Einholung eines Gutachtens des für die Sachgebiete Getränkeverpackung und Bruchmechanik von Glasflaschen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Prof. Dr. V… am 14. April 2010 ein Grund- und Teilurteil erlassen, mit dem es den Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen des oben geschilderten Sachverhalts gegen beide Beklagten als Gesamtschuldner dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärte und feststellte, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materiellen zukünftigen Schäden zu ersetzen, die aus Verletzungen und Folgebeeinträchtigungen der Klägerin aus obigem Sachverhalt resultieren, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind.
Der Anspruch gegen beide Beklagten als Gesamtschuldner folge aus §§ 1 Abs. 1, 8 und 5 ProdHaftG. Der von der Klägerin vorgetragene Unfallhergang sei durch die Aussagen der hierzu vernommenen Zeugen nachgewiesen. Die Beweisaufnahme habe auch ergeben, dass die Beklagte zu 2) die Herstellerin der zerborstenen Glasflasche gewesen sei. Denn die Lichtbilder (Anlagen zum landgerichtlichen Sitzungsprotokoll vom 13.07.2009), die die Zeugin M…, Angestellte der Beklagten zu 1), gefertigt habe, wiesen mittels der dort festgehaltenen Chargennummer die Beklagte zu 2) als Herstellerin aus und zeigten die von Kollegen der Klägerin gesicherten und schließlich der Beklagten zu 1) zugegangenen Glassplitter. Der Unfall beruhe nach den Angaben des Sachverständigen auf einer Oberflächenverletzung der Flasche. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass diese Beschädigung erst nach den maßgeblichen Zeitpunkten des Inverkehrbringens entstanden seien, lägen nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht vor.
Mit ihren Berufungen wenden sich beide Beklagten gegen ihre Verurteilung. Sie meinen, das Landgericht habe die Darlegungen des Sachverständigen unzutreffend gewürdigt. Bei richtigem Verständnis würden die sachverständigen Ausführungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einen späten, dem Inverkehrbringen nachfolgenden Zeitpunkt der Beschädigung belegen mit der Folge, dass die Klage hätte abgewiesen werden müssen. Die Beklagten beanstanden weiter, dass das Landgericht die beklagtenseits vorgetragenen Schutzvorkehrungen, Kontrollmaßnahmen und Vorkehrungen zur Befunddokumentation nicht in seine Beweiswürdigung einbezogen habe. Sie meinen außerdem, die letztlich erfolgte Vernichtung der Glasscherben sei als zumindest fahrlässige Beweisvereitelung der Klägerin anzulasten. Die Klägerin hält das erstinstanzliche Urteil für richtig.
Der Senat hat am 11. Januar 2011 den Sachverständigen Prof. Dr. V… zur Erläuterung seines Gutachtens angehört. Auf das Protokoll über die Beweisaufnahme (Blatt 355/359 d. A.) wird diesbezüglich verwiesen.
Ergänzend wird auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil und die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung erweist sich als nicht begründet. Beide Beklagten haften für den der Klägerin aus dem Unfallereignis vom 30. Juli 2004 entstandenen und noch entstehenden Schaden gesamtschuldnerisch gemäß §§ 1 Abs. 1, 5 und 8 ProdHaftG als Hersteller der zerborstenen Piccolo-Flasche. Der Nachweis eines Entlastungstatbestandes, § 1 Abs. 2 ProdHaftG, ist nicht geführt.
1. Ursächlich für das explosionsartige Zerbersten der Glasflasche und mithin für die hierdurch herbeigeführte Verletzung der körperlichen Unversehrtheit der Klägerin war eine Oberflächenverletzung der Flasche und damit ein Produktfehler im Sinne des § 3 ProdHaftG.
Zwar stehen die Glasscherben für eine Untersuchung durch den Sachverständigen nicht mehr zur Verfügung, weshalb vorliegend nicht schon anhand einer sachverständigen Materialuntersuchung festgestellt werden konnte, dass eine Oberflächenbeschädigung das Explodieren der Flasche ausgelöst hat. Diese Feststellung kann jedoch auf andere Weise getroffen werden. Der Unfallhergang steht nämlich auf der Grundlage der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme fest. Ein dem Unfallereignis vorangegangenes Fallenlassen oder Anschlagen der Flasche kann deshalb ausgeschlossen werden. Auch eine augenscheinliche Beschädigung der Flasche hat nach den Angaben des Zeugen L…. nicht vorgelegen. Gegen die diesbezüglichen Feststellungen im Ersturteil wenden sich die Berufungsführer nicht. Der Sachverständige hat vor dem Senat dargelegt, dass mangels Anschlagens der Flasche und mit Blick auf die Typizität des von den Zeugen geschilderten Geschehensablaufs von einer Oberflächenverletzung als Ursache für das explosionsartige Zerbersten der Flasche auszugehen ist. Es liege ein sog. Innendruckbruch vor. Ein solcher werde ausgelöst durch eine Oberflächenbeschädigung. Oberflächenbeschädigungen könnten auf vielfältige Weise entstehen: bereits in der Glashütte, beim Verpacken, Transport und Entpacken der Flaschen, in der Befüllungsanlage oder auch erst beim Händler oder dem Endkunden. Durch Beschädigungen entstandene Mikrorisse spielten sich auf atomarer Ebene ab, seien nicht einmal mithilfe eines Mikroskope zu erkennen und setzten sich mit nicht voraussagbarer Ausbreitungsgeschwindigkeit fort. Bei einer solchermaßen bruchgefährdeten Flasche genüge eine geringfügige äußere Einwirkung, um sie platzen zu lassen. Eine Flasche, die wegen Überdruckes platze, habe eine Oberflächenbeschädigung erfahren. Die Ausführungen des Sachverständigen zeugten von großer Fachkompetenz und Erfahrung, waren nachvollziehbar und überzeugend. Sie werden daher zur Grundlage des Urteils gemacht.
Infolge der mithin feststehenden Oberflächenbeschädigung war die schadensursächliche Flasche auch fehlerhaft im Sinne des Gesetzes. Gemäß § 3 ProdHaftG hat ein Produkt einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung der Umstände, insbesondere seiner Darbietung, des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, und des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr gebracht wurde, berechtigterweise erwartet werden kann. Bei mit kohlensäurehaltigen Getränken gefüllten Glasflaschen geht die berechtigte Kundenerwartung dahin, dass die Flaschen keine Beschädigungen haben, auch keine Haar- und Mikrorisse, die zu einer Explosion der Flasche führen. Der Berechtigung und mithin Maßgeblichkeit dieser Erwartung steht nicht entgegen, dass Mikrorisse – gemäß den Ausführungen des Sachverständigen, wonach zwar durchgehende Risse zum Zerplatzen der Flasche bereits während des Befüllvorgangs führen, Beschädigungen auf atomarer Ebene aber nicht erkannt werden können – technisch nicht feststellbar und außerdem nicht hundertprozentig vermeidbar sind. Ist ein solcher Riss trotzdem vorhanden, so liegt ein Fabrikationsfehler in Form eines sog. Ausreißers vor (BGH, Urteil vom 09.05.1995 – VI ZR 158/94, BGHZ 129, 353; OLG Koblenz, Urteil vom 20.08.1998 – 11 U 942/97, NJWRR 1999, 1624; Kullmann, ProdHaftG 6. Aufl. § 3 Rn. 11; Staudinger-BGB/Oechsler [2009] § 3 ProdHaftG Rn. 104). Die Haftung für unvermeidbare Ausreißer bedeutet deshalb auch keine Verantwortung für Verhaltensunrecht, sondern gemäß der Konzeption des ProdHaftG und in Übereinstimmung mit der diesem Gesetz zugrunde liegenden Richtlinie 85/374/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 25.07.1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte eine Verantwortung des Herstellers für Gefahren des Produktes.
Darüber hinaus hat der Sachverständige ausgeführt, dass zumindest die Gefahr , die von zerberstenden Glasflaschen ausgeht, bekannt und grundsätzlich vermeidbar ist. Zwar ist derzeit kein anderes Material vorhanden, das die für die Verwendung als Behältnis für die hier interessierenden Getränke – Mineralwasser, Sekt, Limonade und Bier – erwünschten Eigenschaften in gleicher Weise in sich vereinigt wie Glas. Durch Ummantelung der Glasflasche könnten aber unter entsprechendem Kosteneinsatz die potentiell gravierenden Folgen im Falle eines Zerberstens verhindert werden. Die von der Beklagten zu 2) postulierte Unvermeidbarkeit liegt deshalb schon objektiv jedenfalls aus technischer Sicht nicht vor. Der Umstand, dass der Verzicht auf solche Sicherheitsvorkehrungen unter Kostengesichtspunkten hingenommen wird, hat nicht die Verneinung eines Produktfehlers zur Konsequenz. Der einen Einzelhändler betreffenden Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 31.10.2003 – VI ZR 223/05, NJW 2007, 762, kann solches nicht entnommen werden. Diese Entscheidung betrifft die Verkehrssicherungspflicht des Einzelhändlers, nicht des Herstellers. Wie im Einzelnen die für den Fehlerbegriff nach § 3 Abs. 1 ProdHaftG maßgeblichen Sicherheitserwartungen mit den Verkehrssicherungspflichten des Herstellers im Rahmen der deliktischen Haftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB korrelieren (vgl. BGH, Urteil vom 17.03.2009 – VI ZR 176/08, NJW 2009, 1669; Urteil vom 14.03.1995 – VI ZR 34/94, NJW 1995, 2631; Rothe, Verkehrssicherung um jeden Preis? – Keine Haftung für explodierte Limonadenflasche, in NJW 2007, 740), kann für den vorliegenden Fall dahinstehen. Für die Bestimmung des Fehlerbegriffs kommt es in erster Linie auf die Sicherheitserwartungen des Personenkreises an, an den sich der Hersteller mit seinem Produkt wendet (BGH, Urteil vom 17.03.2009 aaO). Maßgeblich ist der Sicherheitsstandard, den die im Adressatenkreis herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Mit Blick auf die Größe der Gefahr, die von umherfliegenden Scherben beim explosionsartigen Zerbersten von Glasflaschen für die hochwertigen Rechtsgüter der Gesundheit und des menschlichen Lebens ausgehen, ist die Erwartung des Verbrauchers, dass eine Flasche mit kohlensäurehaltigen Getränken ohne jede die Innendruckfestigkeit einschränkende Beschädigung in den Verkehr gegeben wird, berechtigt, unabhängig davon, dass eine Risikoflasche beim Hersteller nicht mit absoluter Sicherheit erkannt und aussortiert werden kann (BGH, Urteil vom 09.05.1995 aaO).
Unter dem Gesichtspunkt der Fehleridentifikation hat die Klägerin auch nicht weitergehend darzulegen, welcher konkrete Umstand bruchauslösend war. Hat – wie vorliegend festgestellt – eine Oberflächenverletzung der Glasflasche einen Innendruckbruch ausgelöst, so ist damit auch ohne Detailkenntnis von der Art und der Verortung der Oberflächenbeschädigung ein Produktfehler festgestellt (Staudinger aaO § 1 ProdHaftG Rn. 159 f.). Die Beklagte zu 2) kann der Bejahung eines Produktfehlers desgleichen nicht mit Erfolg den Einwand entgegenhalten, ihr Produktionsverfahren sei sorgfältig und auf die Verhinderung sowie Entdeckung von Fabrikationsfehlern angelegt, seit dem Jahr 2004 sei nur an einer einzigen Piccolo-Flasche ein Mangel bekannt geworden, weshalb ein Anscheinsbeweis dafür spreche, dass die hier verfahrensgegenständliche Oberflächenverletzung außerhalb des Einflussbereiches der Beklagten zu 2) entstanden sein müsse. Am Vorhandensein eines – schadensursächlichen – Produktfehlers, § 3 ProdHaftG, in Form einer Oberflächenverletzung ändert all dies nichts (Staudinger aaO § 3 ProdHaftG Rn. 106).
2. Beide Beklagte sind Hersteller des verfahrensgegenständlichen Produktes, § 4 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG, und zwar die Beklagte zu 1) unstreitig als Sektherstellerin und Befüllerin der Glasflasche und damit als Herstellerin des Endproduktes, die Beklagte zu 2) als Flaschenproduzentin und damit als Herstellerin eines Teilproduktes. Letzteres hat das Landgericht auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme festgestellt. Die Beklagte zu 2) wendet sich gegen die Richtigkeit dieser Feststellung mit der Berufung nicht; sie fasst vielmehr selbst den Sachverhalt in diesem Punkt dahingehend zusammen (Seite 3 der Berufungsbegründung), dass die streitgegenständliche Flasche im Werk der Beklagten zu 2) produziert worden sei. Darüber hinaus ist die Beweiswürdigung des Landgerichts auch nicht zu beanstanden. Auf der Grundlage der Zeugenaussagen ergibt sich kein Anhalt dafür, dass es sich bei den fotografierten und sodann von der Beklagten zu 1) an ein Konkurrenzunternehmen der Beklagten zu 2) zum Zwecke der Untersuchung der Schadensursache weitergeleiteten und dort vernichteten Scherben um andere Scherben handeln könnte, die mit dem hier streitgegenständlichen Vorfall nicht in Zusammenhang stünden.
3. Die Ersatzpflicht der Beklagten ist vorliegend auch nicht nach § 1 Abs. 2 ProdHaftG ausgeschlossen. Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt ein Ausschluss nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG vorliegend nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift haftet der Hersteller dann nicht, wenn der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, in dem das Produkt in den Verkehr gebracht worden ist, nicht erkannt werden konnte. Damit soll die Haftung für sog. Entwicklungsrisiken ausgeschlossen werden, also die Haftung für Risiken eines Produktes, die im Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht erkennbar waren (BGH, Urteil vom 09.05.1995, aaO; Kullmann aaO § 1 Rn. 63). Die von Glasflaschen mit kohlensäurehaltigen Getränken ausgehenden Risiken sind jedoch bekannt. Dass der einzelnen Glasfalsche nicht angesehen werden kann, ob es sich um eine sog. Risikoflasche handelt, ändert daran nichts (Staudinger aaO § 3 Rn. 107).
In Betracht kommt vorliegend allenfalls der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG. Danach entfällt die Ersatzpflicht des Herstellers, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Produkt den Fehler, der den Schaden verursacht hat, noch nicht hatte, als der Hersteller es in den Verkehr brachte.
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass nach den Umständen von der Abwesenheit des Fehlers zum maßgeblichen Stichtag des Inverkehrbringens auszugehen ist, liegt beim Hersteller, § 1 Abs. 4 Satz 2 ProdHaftG. Der Entlastungsbeweis ist nicht geführt.
3.1. Zwar besteht beim Öffnen der Kartonage unter Zuhilfenahme eines Cutters theoretisch die Gefahr eines Anritzens der Glasflasche und damit der Erzeugung einer feinen Oberflächenverletzung, die gemäß den Ausführungen des Sachverständigen den weitgehenden Verlust der Innendruckfestigkeit der Flasche zur Folge hätte. Vorliegend jedoch ist der Einsatz eines Messers beim Entpacken nicht festgestellt. Dass beim Einzelhändler, hier der …-Filiale in Gröbenzell, die Kartonage unter Zuhilfenahme eines Messers geöffnet worden wäre, ist nicht erwiesen. Der Zeuge L… hat angegeben, er habe nach seiner Erinnerung, die allerdings infolge Zeitablaufs nicht mehr sicher sei, zwei Kartons Piccolo-Flaschen gekauft. In diesen Kartons hätten sich die Flaschen einzeln in Geschenkkartons verpackt befunden. Ob beide Kartons vollständig gefüllt gewesen seien, könne er nicht mehr sagen. Es könne sein, dass einer der Kartons bis zur Hälfte abgeschnitten gewesen sei. Angesichts der unsicheren Erinnerung des Zeugen L… an den Zustand der Kartons und im Hinblick darauf, dass nicht festgestellt ist, aus welchem der Kartons die verfahrensgegenständliche Flasche stammt, ist schon nicht erwiesen, dass die äußere Umverpackung unter Zuhilfenahme eines Messers in einer Weise geöffnet worden ist, die geeignet war, eine oberflächliche Beschädigung der Flasche herbeizuführen. Dies gilt vorliegend umso mehr, als eine oberflächliche Verletzung des Glases beim Öffnen der Umverpackung nur dadurch möglich war, dass auch die einzelne Geschenkverpackung durchschnitten wird. Weder liegt eine solche Vorgehensweise nahe, noch gibt es sonst Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend ein Durchritzen sogar der Geschenkverpackung erfolgt sei. Der Zeuge L… hat die einzelnen Flaschen den Geschenkverpackungen entnommen. Dabei ist ihm keine solche Beschädigung der Verpackung aufgefallen. Sonstige Hinweise auf ein Durchschneiden der Geschenkverpackung liegen nicht vor. Bei dieser Sachlage sind Umstände, die eine Beschädigung der Flasche beim Einzelhändler durch Anritzen annehmen ließen, nicht gegeben. Eine nur theoretisch mögliche Beschädigung beim Einzelhändler und damit erst nach dem Inverkehrbringen durch die Beklagten entlastet die Beklagten nicht, wenn Umstände, die im konkreten Fall den Ablauf eines solchen theoretisch denkbaren Szenarios annehmen lassen, nicht erwiesen sind, § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG.
3.2. Auch in der Behandlung, die die Piccolo-Flaschen vorliegend durch den Zeugen L… erfahren haben, sind keine Umstände zu erblicken, nach denen davon auszugehen wäre, dass die verfahrensgegenständliche Flasche den schadensverursachenden Fehler, also die Oberflächenbeschädigung, zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens noch nicht hatte. Die Vorgehensweise des Zeugen L… ist vom Erstgericht festgestellt worden. Sie lässt nicht die Annahme zu, erst durch diese Handhabung sei die streitgegenständliche Flasche oberflächlich beschädigt worden.
Der Zeuge L… hat erstinstanzlich ausgesagt, er habe die Flaschenkartons so, wie er sie im Geschäft dem Regal entnommen habe, zu seinem Pkw verbracht und zur Schule transportiert, wo er sie im Rektorat in den Kartons gelagert habe. Erst gegen Mittag des nächsten Tages habe er im Rektorat die Flaschen den Geschenkkartons entnommen, sie in eine große Plastikwanne gelegt und sodann über eine Strecke von 20 Metern in den Schulhof getragen, wo er die Wanne im Schatten abgestellt habe. Anhaltspunkte für besondere Vorkommnisse während des Transports der Flaschen vom Geschäft zum Schulgebäude im Pkw des Zeugen oder im Schulgebäude liegen nicht vor.
Auch der nachfolgende Transport der entpackten Flaschen in einer Wanne stellt keinen Umstand dar, aufgrund dessen von der Abwesenheit des Fehlers zum maßgeblichen Stichtag des Inverkehrbringens auszugehen wäre. Dies hat das Landgericht sachverständig beraten zutreffend gesehen. Die Anhörung des Sachverständigen durch den Senat hat dies bestätigt. Die Schilderung des Zeugen enthält weder Anhaltspunkte für ein unvorsichtiges Vorgehen beim Einlegen der Flaschen in die Wanne noch Anhaltspunkte für einen besonderen Vorfall, etwa ein Stolpern mit heftigen Erschütterungen des Wanneninhalts, während des Transports auf dem kurzen Weg vom Rektorat in den Schulhof. Bei dieser Sachlage ist nach den Ausführungen des Sachverständigen vor dem Senat nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge nicht damit zu rechnen, dass der Oberflächenkontakt der Flaschen untereinander zu einer Oberflächenbeschädigung führt. Das Risiko, dass es bei einer vorsichtigen Handhabung – für eine unvorsichtige bestehen vorliegend keine tatsächlichen Anhaltspunkte – während des Deponierens in die Wanne und des Transports der Wanne zu einer Oberflächenverletzung kommt, sei kleiner als die Chance auf einen Sechser im Lotto. Zwar sei nicht ausgeschlossen, dass es infolge der vom Zeugen L… geschilderten Vorgehensweise zu einer Oberflächenbeschädigung gekommen sei. Darin sei dann allerdings ein völlig unwahrscheinlicher Verlauf der Dinge zu sehen. Der Normalfall bestehe darin, dass bei dieser Handhabung nichts passiere. Deshalb könne er, der Sachverständige, sich auch nicht vorstellen, dass sich ein Ereignis, wie es hier verfahrensgegenständlich ist, nachstellen ließe, auch nicht bei einem weit ausgedehnteren Herumtragen entpackter Einzel-Piccolo-Flaschen in einer Wanne. Bei Neuglas, wie es für Einwegflaschen Verwendung finde, und insbesondere bei den 0,2 l Piccolo-Flaschen mit naturgemäß kleinem Durchmesser sei ohnehin in der Regel eine stärkere Einwirkung zur Herbeiführung einer Oberflächenbeschädigung erforderlich. Am wahrscheinlichsten sei zwar, dass die dem Zerbersten zeitlich unmittelbar vorausgegangene, also jüngste, Oberflächenverletzung, nicht dagegen eine frühere Beschädigung, die Ursache für die Explosion gesetzt hat. Eine Starkbeanspruchung sei in der Vorgehensweise des Zeugen L… jedoch nicht zu sehen. Für normalen Gebrauch, wie er hier vorlag, reiche die Schlagfestigkeit der Flaschen aus.
Auf der Grundlage dieser von Fachkunde getragenen und überzeugenden Erläuterungen des Sachverständigen lassen mithin die durch Beweisaufnahme festgestellten Umstände der Handhabung unmittelbar vor der Flaschenexplosion nicht die Annahme zu, die bruchauslösende Oberflächenbeschädigung habe nicht schon bei Inverkehrbringen vorgelegen, sondern sei erst durch diese hier festgestellten Umstände zugefügt worden. Die Erwägung, dass eine Beschädigung der streitgegenständlichen Flasche anlässlich der Behandlung durch den Zeugen L… möglich war, also aus sachverständiger Sicht nicht ausgeschlossen werden kann, reicht hierfür nicht aus. Nach dem Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG ist eine Haftung des Herstellers vielmehr schon, aber auch nur dann ausgeschlossen, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Produkt den Fehler vor dem Inverkehrbringen noch nicht hatte. Danach hat weder der Hersteller zu beweisen, dass das Produkt zum Stichtag fehlerfrei war, noch der Geschädigte zu beweisen, dass das Produkt bereits zum Stichtag fehlerhaft war. Die gewählte Formulierung („den Umständen nach davon auszugehen“) bezeichnet vielmehr einen Erkenntnisstand unterhalb der Schwelle der vollen richterlichen Überzeugung gemäß § 286 ZPO. Danach reicht das Feststehen eines Geschehensablaufes aus, der nach allgemeiner Lebenserfahrung die Schlussfolgerung auf den Zeitpunkt des Fehlereintritts plausibel erscheinen lässt (OLG München, Urteil vom 21.06.2002 – 21 U 4952/01, OLGR München 2003, 4). Die bloße Möglichkeit eines späteren Fehlereintritts reicht dagegen für den Haftungsausschluss nicht. Die Gesetzesmaterialen bestätigen dieses Gesetzesverständnis. Danach ist bewusst auf die Berücksichtigung der „Umstände“ abgestellt worden, von denen „auszugehen ist“. Damit solle verdeutlicht werden, dass der Richter zwar sorgfältig die Umstände des Einzelfalls prüfen muss; ergebe diese Prüfung jedoch ein großes Maß an Wahrscheinlichkeit für die Nichtexistenz des Fehlers zur Zeit des Inverkehrbringens oder für das spätere Entstehen des Fehlers, so sei der Hersteller entlastet. Es komme bei dieser Beweiswürdigung wesentlich auf die Art des Produkts, die Intensität des Gebrauchs und vor allem die Zeitspanne zwischen dem Inverkehrbringen und dem Schadensereignis an (BT-Drucks. 11/2447 Seite 14). Als Umstände, die für § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG in Betracht kommen, werden z.B. genannt: unsachgemäße Lagerung, mangelhafte Produktinstallation, fehlerhafte Bedienung, sachfremde oder übernormale Benutzung, unzureichende Pflege und Wartung (zum Ganzen: Arens, Zur Beweisproblematik im heutigen deutschen Produkthaftungsprozess, in ZZP 104, 121/130; Kullmann, aaO § 1 Rn. 111; MüKo- BGB/Wagner 5. Aufl. § 1 ProdHaftG Rn. 34 ff.; Staudinger aaO § 1 ProdHaftG Rn. 72 ff.). Vorliegend sind mit der Handhabung durch den Zeugen L… gemäß den Ausführungen des Sachverständigen keine Umstände festgestellt, die das Maß einer normalen Beanspruchung übersteigen oder sonst eine Beschädigung der Flasche bei dieser Vorgehensweise als wahrscheinlich erscheinen ließen.
3.3. Im Ergebnis ohne Erfolg berufen sich die Beklagten auf die durchgeführten Qualitätssicherungsmaßnahmen, Qualitätskontrollen und Befundsicherungen.
Hinsichtlich der Beklagten zu 1) ist schon nicht zu erkennen, dass sie Maßnahmen der genannten Art in nennenswertem Umfang betreibt. Nach ihrer Darstellung kontrolliert sie in regelmäßigen Abständen die Einhaltung der Sicherheitsstandards im Betrieb der Beklagten zu 2). Die Eingangskontrolle im Betrieb der Beklagten zu 1) ist nach deren Darstellung auf eine Sichtkontrolle beschränkt, wonach die Mitarbeiter der Beklagten zu 1) vor dem Entpacken der angelieferten Paletten die von der Beklagten zu 2) vor dem Transport aufgebrachte sog. Schrumpffolie auf sichtbare Beschädigungen hin besichtigen. Dass am Ende des Befüllvorgangs eine Ausgangskontrolle stattfinde, hat die Beklagte zu 1) selbst nicht behauptet.
Die Beklagte zu 2) hingegen hat zwar umfangreich und unter Beweisantritt zu ihren Qualitätssicherungsmaßnahmen und Kontrolltätigkeiten vorgetragen. Beweis hierüber war jedoch aus Rechtsgründen nicht zu erheben. Dass die von der Beklagten zu 2) produzierten Piccolo-Flaschen grundsätzlich von hoher Qualität sind, zeigt schon – so der Sachverständige – die sehr niedrige Bruchquote auf. Aber selbst wenn feststeht, dass beim Hersteller ein sorgfältiges und auf die Verhinderung von Fabrikationsfehlern angelegtes Produktions- und Kontrollverfahren durchgeführt wird, spricht für den Hersteller noch kein Erfahrungssatz dafür, dass der schadensauslösende Fabrikationsfehler erst nach dem Inverkehrbringen entstanden ist. Eine sorgfältige Gestaltung des Produktionsverfahrens ist nämlich – so die Ausführungen des Sachverständigen – nicht geeignet, die Möglichkeit eines Ausreißers, für den der Hersteller gleichfalls zu haften hat, auszuschließen. Auch mit Hilfe sorgfältiger Ausgangskontrollen können – so der Sachverständige – Mikrorisse nicht erkannt werden. Die Flaschen verlassen die Glashütte deshalb mit einem gewissen Bruchrisiko. Weil selbst sorgfältigste Qualitätskontrollen nicht verhindern können, dass Risikoflaschen von der Glashütte ausgeliefert werden, rechtfertigt die Durchführung und Dokumentation der Ausgangskontrollen bei der Beklagten zu 2) anders als in dem vom OLG Düsseldorf am 22.09.2000 entschiedenen Fall (22 U 208/99, NJW-RR 2001, 458 betreffend eine Schweißstelle in einem Seil infolge thermischer Verschmelzung durchschnittener Garne) nicht die Annahme, dass mit großer Wahrscheinlichkeit der schadensursächliche Fehler – hier die Oberflächenbeschädigung der Flasche – entdeckt worden wäre, wenn er zum Auslieferungszeitpunkt vorgelegen hat. Deshalb begründet der Nachweis einer sorgfältigen Produktion und Kontrolle vorliegend keinen Anscheinsbeweis zugunsten der Beklagten zu 2) für die Fehlerfreiheit im Zeitpunkt des Inverkehrbringens (Staudinger aaO § 1 ProdHaftG Rn. 78). Durch die Dokumentation ihrer Anstrengungen kann die Beklagte zu 2) zwar den Vorwurf der Sorgfaltswidrigkeit entkräften, aber nicht den Nachweis der Fehlerfreiheit des Produkts führen (OLG Koblenz, Urteil vom 24.06.1999 – 5 U 1668/ 98, MDR 2000, 30). Ohne hinzutreten weiterer Indizien, die es im Verein mit der Durchführung aller erforderlichen Qualitätskontrollen als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der bruchauslösende Fehler erst nach Inverkehrgabe des einwandfreien Produkts entstanden ist, ist nicht einmal der Nachweis besonderer Umstände, die zur Annahme von Fehlerfreiheit bei Inverkehrsgabe berechtigen würden, geführt (MüKo aaO § 1 Rn. 36).
Solche besonderen Indizien liegen hier nicht vor. Auch der Umstand, dass die Flasche nicht bereits bei oder innerhalb eines Zeitraumes von 48 Stunden nach der Befüllung geplatzt ist, stellt im Verein mit den Qualitätssicherungsmaßnahmen der Beklagten zu 2) kein hinreichendes Indiz für die Fehlerfreiheit im Zeitpunkt der Inverkehrgabe durch die Beklagte zu 2) dar. Zwar hat die Beklagte zu 2) die Flasche bereits mit der Weiterlieferung an die Beklagte zu 1) in Verkehr gebracht, weshalb für die Haftung der Beklagten zu 2) auf diesen Zeitpunkt der Auslieferung abzustellen ist. In Verkehr gebracht ist ein Produkt nämlich dann, wenn es aufgrund eines Willensentschlusses des Herstellers einer von diesem verschiedenen, außerhalb seiner Gefahrensphäre befindlichen Person übergeben worden ist, wobei es genügt, dass – wie vorliegend – das Produkt einen weiteren Schritt in der Herstellungs- oder Verteilerkette auf dem Weg zum Benutzer oder Verbraucher vorangebracht wird (Staudinger aaO § 1 ProdHaftG Rn. 45). Dieser Zeitpunkt bestimmt sich für jeden Teil- oder Endhersteller gesondert. Auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen vor dem Senat lässt aber die Tatsache, dass die Flasche der Befüllung standgehalten hat, auch zusammen mit den Qualitätssicherungsmaßnahmen der Beklagten zu 2) noch keine Umstände erkennen, nach denen davon auszugehen wäre, dass die Flasche die Oberflächenbeschädigung zum Zeitpunkt der Auslieferung an die Beklagte zu 1) noch nicht hatte. Hierzu hat der Sachverständige angegeben, dass zunächst der Prüfdruck, dem die Flaschen vor dem Befüllen unterzogen werden, und sodann die Füllmaschine selbst eine Grobaussortierung vorgeschädigter Flaschen liefern, weil vorgeschädigte Flaschen vielfach bereits dem Prüfdruck oder nachfolgend dem Befülldruck nicht standhalten und bersten. Allerdings finde eine 100 %ige Aussortierung dadurch nicht statt. Auch im Lager des Befüllers, in dem die verschlossenen Flaschen vor der Auslieferung deponiert würden, käme es deshalb zu Glasbruch. Die Behauptung der Beklagten zu 2), vorgeschädigte Flaschen würden innerhalb von 48 Stunden nach dem Befüllen und Verschließen bersten, widersprach der Sachverständige entschieden. Nach seinen Ausführungen ist es zwar möglich, dass eine vorgeschädigte Flasche bei der Beklagten zu 1) geplatzt wäre, aber nicht notwendig. Auch eine Wahrscheinlichkeit könne insoweit nicht angegeben werden. Vielmehr könnten all diese Umstände nicht verhindern, dass Risikoflaschen bis zur Auslieferung an den Handel dem Innendruck standhielten und erst beim Endkunden zerplatzten. Besondere Umstände im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG, die gegen das Vorliegen eines Ausreißers sprechen würden, sind deshalb mit dem Hinweis auf die Qualitätssicherung und auf das Standhalten der Flasche im Befüllbetrieb nicht vorgetragen.
Aus diesen Gründen kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits auch nicht auf die in der Rechtsprechung bislang nicht einheitlich beurteilte Frage an, ob dem Hersteller von Einwegglasflaschen überhaupt eine Befundsicherungspflicht obliegt (vgl. einerseits OLG Braunschweig, Urteil vom 13.09.2004 – 6 U 3/04, VersR 2005, 417 und andererseits LG Augsburg, Urteil vom 23.08.1999 – 3 O 2943/97, NJW-RR 2001, 594).
Sonstige Umstände wie beispielsweise besondere Vorkommnisse bei der Befüllung der streitgegenständlichen Flasche im Betrieb der Beklagten zu 1), die zur Herbeiführung einer Oberflächenbeschädigung geeignet gewesen wären, sind nicht behauptet.
3.4. Den Beklagten kommt im Verhältnis zur Klägerin keine Beweiserleichterung unter dem Gesichtspunkt der Beweisvereitelung zugute. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine Beweisvereitelung vor, wenn eine Partei ihrem beweispflichtigen Gegner die Beweisführung schuldhaft erschwert oder unmöglich macht. Dies kann vorprozessual oder während des Prozesses durch gezielte oder fahrlässige Handlungen geschehen, mit denen vorhandene Beweismittel vernichtet oder vorenthalten werden. Das Verschulden muss sich dabei sowohl auf die Zerstörung oder Entziehung des Beweisobjekts als auch auf die Beseitigung seiner Beweisfunktion beziehen, also darauf, die Beweislage des Gegners in einem gegenwärtigen oder künftigen Prozess nachteilig zu beeinflussen (BGH, Urteil vom 23.11.2005 – VIII ZR 43/05, NJW 2006, 434).
Ein solcher Vorwurf kann der Klägerin nicht gemacht werden. Sie war infolge des Unfalls schwer verletzt, so dass ihr eine unterlassene Sicherung der Glasscherben und eine unterlassene Organisation der Sicherstellung nicht als Verschulden vorgeworfen werden kann. Dass die Kollegen der Klägerin nicht sämtliche Glasscherben sichergestellt haben und insbesondere die an die Bruchausgangsstelle angrenzende Scherbe nach den erstinstanzlichen Feststellungen nicht gesichert worden ist, ist deshalb nicht der Klägerin als schuldhafte Beweisvereitelung anzulasten.
Die Tatsache, dass die Scherben letztlich im Konkurrenzunternehmen der Beklagten zu 2) entsorgt worden sind, ist gleichfalls nicht der Klägerin anzulasten, weil die Klägerin diesbezüglich kein eigenes Verschulden und kein zurechenbares Fremdverschulden trifft. Die Weiterleitung der Scherben an die Beklagte zu 1) erfolgte auf Anforderung hin. Es wäre Sache der Beklagten zu 1) gewesen, durch geeignete Hinweise im Begleitschreiben zum Untersuchungsauftrag dafür Sorge zu tragen, dass dem Empfänger die Bedeutung der Scherben als mögliche Beweismittel zur Kenntnis gebracht wird und deshalb eine Vernichtung unterbleibt. Das Versäumnis der Beklagten zu 1) ist nicht der Klägerin anzulasten, auch nicht im Verhältnis zur Beklagten zu 2), denn die Beklagte zu 1) stand nicht im Lager der Klägerin und war von dieser nicht zur Erledigung einer eigenen Pflicht hinzugezogen worden, § 278 BGB. Die Klägerin war auch nicht verpflichtet, vorprozessual eine Untersuchung in Auftrag zu geben. Sie hat die Scherben nur weitergegeben, um ihrer Anspruchsgegnerin in deren eigenem Interesse die gewünschte Untersuchung zu ermöglichen. Dieser Anspruchsgegnerin war die Bedeutung der Scherben als Beweismittel infolge der Anspruchsanmeldung bekannt, so dass es besonderer Vorkehrungen gegen eine Vernichtung seitens der Klägerin nicht bedurfte. Eine unsorgfältige, die nachfolgende Vernichtung der Scherben kausal (mit)verursachende Vorgehensweise der Klägerin ist deshalb nicht zu erkennen.
Dass die Beklagte zu 2) damals mit der Sache noch nicht befasst war und weder ihr noch dem gerichtlichen Sachverständigen eine Untersuchung der Scherben infolge der inzwischen erfolgten Vernichtung möglich war, ist deshalb allenfalls im Haftungsverhältnis zwischen den beiden Beklagten von Bedeutung, nicht aber für deren Haftung gegenüber der Klägerin.
4. Beide Beklagten haften der Klägerin gegenüber gemäß § 5 Satz 1 ProdHaftG als Gesamtschuldner, denn beide sind – wie oben dargestellt – Hersteller der schadensursächlichen, fehlerbehafteten Flasche und haften gegenüber der Klägerin auf Schadensersatz im Umfang des § 8 ProdHaftG in der seit dem 01.08.2002 geltenden Fassung des Gesetzes aus § 1 Abs. 1 ProdHaftG, nachdem sich beide Hersteller nicht auf einen Ausschlusstatbestand, insbesondere nicht auf § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG, berufen können.
Nebenentscheidungen
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 Abs. 2 ZPO. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
Streitwert: §§ 3, 4 ZPO